Stellungnahme zur aktuellen Debatte um die Übergriffe in Köln und Hamburg Silvester 2016

Wir, das AlleFrauen*Referat der Universität Hamburg, verurteilen jegliche Form sexualisierter Gewalt¹. Wir glauben, dass sexualisierte Gewalt ein schwerwiegendes Problem ist. Ein Problem, das gesamtgesellschaftlich existiert und als solches bisher nicht ausreichend bekämpft wurde.

Bei Großveranstaltungen, beim Ausgehen, in der Bahn, auf dem Kiez… im öffentlichen und privaten Raum findet übergriffiger Sexismus täglich statt. Dieser sogenannte „Normalzustand“ ist nicht tolerierbar! Doch dieser Sexismus begründet sich nicht in Nationalitäten der Täter, sondern in der Normalität des Sexismus, seiner gesellschaftlichen Akzeptanz und ökonomischen Verwertung in Deutschland.

Die Vorfälle der Neujahrsnacht 2016 in Köln und Hamburg haben für uns vor allem eine Geschlechterdimension: Es geht um Männer, die sich Frauen* gegenüber übergriffig verhalten. Das ist immer beschissen und eine Praxis, die sich quer durch die Gesellschaft zieht.

Die versuchte Vereinnahmung von Feminismus und Anti- Sexismus für rassistische Hetze muss gestoppt werden! Wenn Sexismus vor allem vor dem Hintergrund von „race“ diskutiert wird, verschleiert dies weiterhin die patriarchalen Verhältnisse. Die Instrumentalisierung von Feminismus und Anti-Sexismus für rassistische Politiken denunziert Geflüchtete Personen und legitimiert tödliche Grenzregime. Sexualisierte Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem und kann nicht auf Herkunft oder Religion reduziert werden.

Das Problem Sexismus verläuft zwischen Männern und Frauen*. Überall.

Wir distanzieren uns ausdrücklich von der rassistischen Debatte um die Übergriffe in Köln und Hamburg während der Neujahrsnacht 2016, so wie sie aktuell in Öffentlichkeit, Medien und Politik geführt wird.

Im Kampf gegen Sexismus muss es um eine deutliche Positionierung gegen Alltagssexismus und sexualisierte Gewalt gehen. Wenn die Erlebnisse der Betroffenen in z.B. Köln instrumentalisiert werden, wird damit rassistische Hetze betrieben und die weiße deutsche Mehrheitsgesellschaft von Sexismus freigesprochen. Sexualisierte Gewalt darf nicht nur dann thematisiert werden, wenn die Täter die vermeintlich „anderen“ sind und die Betroffenen vermeintlich weiße Cis-Frauen. Die aktuelle Debatte verstärkt rassistische Stereotype und verschleiert, dass Sexismus immer und überall stattfindet.

Diese Praxis, sexualisierte Gewalt unter anderem zu einer Frage der Nationalität zu machen, ist eine rassistische. Hier wird besonders deutlich, dass das Anliegen nicht wirklich ist, sexualisierte Gewalt zu benennen und zu bekämpfen, sondern den Rassismus weiter auszubauen.

Die rassistische Motivation der Instrumentalisierung der Vorfälle wird auch in der Beschreibung der Gruppe der Täter aus Köln deutlich, die als „organisiert und strategisch handelnde Banden“ beschrieben werden. Dieser orientalistische Stereotyp wird nicht im Zusammenhang anderer Übergriffe, die von Männergruppen ausgeführt werden (z.B. im Kontext von Sportveranstaltungen oder während des Münchener Oktoberfests) bemüht.

Sexismus interessiert in der aktuellen Auseinandersetzung nicht in seiner gesamten Dimension, sondern soll durch seine „Zerstücklung“ instrumentalisiert werden. Doch wie die Kampagne „#ausnahmslos schon allein mit ihrem Namen fordert: Sowohl Sexismus wie auch Rassismus müssen in ihrer gesellschaftlichen Gänze betrachtet und auf dieser Grundlage bekämpft werden. Dafür muss z.B. der mediale Diskurs aufgebrochen werden, in dem die zum Opfer gemachte Person stets eine weiße, junge und normativ schöne Frau ist, was die gesellschaftlichen Positionen aller betroffenen Frauen* unsichtbar macht, die eben nicht weiß, jung, blond und „deutsch“ sind.

Die Debatte die gerade geführt wird, nimmt zudem einen hegemonial männlichen Standpunkt ein.

Die sich in rassistische Diskurse einreihende und in männlich hegemonialer Weise „pushende“ Wiederentdeckung von „Frauenrechten“ ist nicht neu. Uns stört es, dass sich in den letzten Monaten wieder vermehrt weiße deutsche Männer in äußerst instrumentalisierender Weise die Deutungshoheit über Sexismus aneignen und auf einmal angeblich „Frauenrechte“ durchsetzen wollen. Es geht ihnen dabei in keinem Moment um die Emanzipation oder gar die Selbstbestimmung von Frauen*, sondern um die Fortschreibung ihrer rassistischen Praktiken. So lassen sich im Diskurs einige „merkwürdige“ Umschwünge beobachten (z.B. sprechen sich CDU-Politiker, die 1997 noch gegen die Einführung des Straftatbestandes Vergewaltigung in der Ehe gestimmt haben, sich auf einmal für ein restriktiveres Sexualstrafrecht aus), die die rechte Instrumentalisierung des von linken Kräften Erkämpften verdeutlichen.

Und so ist die Tatsache, dass man nun plötzlich diesen Männern zu hört und nicht Frauen*verbänden, die Forderungen nach besserem Schutz vor sexualisierten Übergriffen schon seit Jahren formulieren, Ausdruck der Fortführungen männlicher Machtstrukturen, das Kern des Sexismus-Problems ist und damit enorm reproduzierend wirkt.

Das Problem von sexualisierter Gewalt kann nicht durch stärkere polizeiliche Präsenz und “härteres Durchgreifen” gelöst werden.

Um dem sexistischen Alltag beizukommen bedarf es eines grundlegenden Wandels gesellschaftlicher Strukturen. Mit der Diskussion über erhöhte Polizeipräsenz wird hierbei ein staatliches Organ verhandelt, das in der Tradition patriarchaler Machtausübung steht und in diesem Sinne Teil des Gesamtproblems ist. Zur Auflösung sexistischer Unterdrückungen, bedarf es eines Wandels der Gesellschaft, in der sexualisierte Übergriffe nicht toleriert werden. Wenn Frauen* als potentielle Opfer von vorwiegend männlichen Polizist*innen beschützt werden, reproduziert dies Sexismus und verfestigt eine „Opfergesellschaft“, die es im Zuge der Befreiung von Frauen* aufzulösen gilt.

Die Forderung nach mehr Polizeigewalt ist deshalb falsch, weil die Funktion der Polizei die Verteidigung und Aufrechterhaltung der aktuellen Gesellschaftsordnung ist. Sie kann sich daher niemals auf die Seite von Frauen* stellen und sich gegen den männlichen Anspruch auf Verfügung über Weiblichkeit und weibliche Körper stellen, genauso wenig wie sie im Dienst des Anti-Rassismus stehen kann, da sie z.B. rassistische Stereotype innerhalb der Gesellschaft aufrecht erhält.

Uns ist es am Ende der Stellungnahme ein Anliegen uns als parteilich und solidarisch mit den Betroffenen zu positionieren. Wir verurteilen grundsätzlich jegliche Form sexualisierter Gewalt. Dazu ein Zitat des BFF (Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe), dem wir uns anschließen:

„Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) erklärt sich solidarisch mit allen Betroffenen. Die im bff zusammengeschlossenen Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe stehen parteilich an der Seite der Betroffenen und verurteilen die Täter. […] Frauenberatungsstellen weisen seit Jahrzehnten darauf hin, dass die Angst vor sexuellen Übergriffen und sexualisierter Gewalt Frauen in ihrer Bewegungsfreiheit und gesell­schaftlicher Teilhabe einschränkt. Die tagtäglich ausgeübte sexualisierte Gewalt hat niemals nur Auswirkungen auf die direkt Betroffenen, sondern führt dazu, dass viele Frauen als gefährlich geltende Orte oder Gegebenheiten meiden. Es ist somit eine dauerhafte gesamtgesellschaftliche gleichstellungspolitische Aufgabe, sexualisierte Gewalt zu bekämpfen. Die Maßnahmen dürfen sich nicht auf kurzfristige Reaktionen auf gemeldete Übergriffe beschränken.“

In diesem Sinne ist es weiterhin notwendig und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Sexismus in seinen Machtwirkungen zu thematisieren und zu bekämpfen, um eine sichere Gesellschaft für Alle zu entwickeln

1 Wir nutzen den Begriff „sexualisierte“ Gewalt, statt „sexueller“ Gewalt, da wir davon ausgehen, dass in der betrachteten Situation keine konsensual-sexuellen Handlungen vollzogen wurden, sondern eine Form strukturell begünstigter Gewalt auf die Betroffenen ausgeübt wurde.

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